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Akademie Blog Corona

Die Zukunft unserer Städte nach Corona

 

Was ändert sich, was bleibt? | Interview mit Dr. Frank Friesecke – Prokurist der STEG

Tanja Jentz:
„Herr Friesecke, wie haben Sie die vergangenen Monate unter dem Einfluss von Corona erlebt?“

„Als in den 1970er Jahren Geborener fallen mir nur die Wiedervereinigung und der 11. September ein, die zu ähnlich radikalen Einschnitten geführt haben. Die persönliche Betroffenheit ist bei der Pandemie allerdings noch höher, da sich das private und öffentliche Leben seit März 2020 entscheidend verändert hat.

Ich vermisse die persönlichen Kontakte zur Familie und zu Freunden, aber auch den Besuch von Veranstaltungen und Events in der Region. In dieser merkwürdigen Zeit wird mir auf einmal bewusst, wie wichtig das eigene Wohnumfeld, die Nahversorgung, aber auch Parks und öffentliche Plätze sind. Gerade in der dichten Stadt, selbst wenn Stuttgart als besonders grüne Großstadt gilt, wird die Pandemie erträglicher, wenn das Ausweichen ins Freie attraktiv ist: Für Fußgänger, für Radfahrer, für Jogger oder für den Spaziergang zum Bäcker.

Aus beruflicher Perspektive können wir uns bei der STEG sehr glücklich schätzen, dass wir Städte und Gemeinden genau bei diesen Veränderungsprozessen begleiten, also der Umgestaltung des öffentlichen Raums, der Begleitung privater Eigentümer bei der energetischen Sanierung Ihrer Gebäude, der Entwicklung von Bauland in angespannten Wohnungsmärkten. Eine große Rolle spielen dabei Förderprogramme wie die Städtebauförderung oder das Entwicklungsprogramm ‚Ländlicher Raum‘.

Gerade die Nutzung dieser Förderprogramme wird in und nach der Corona-Krise eine noch größere Bedeutung erlangen, da den Städte und Kommunen zahlreiche Einnahmen, u.a. Gewerbesteuern, wegbrechen.“

Kerstin Lepere:
„Corona wird also unsere Städte verändern. Welche Auswirkungen sehen Sie aus dem Blickwinkel der Stadtplanung?“

„Städte haben sich fortwährend verändert, die aktuelle Pandemie fordert die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft und ganz besonders unserer Städte allerdings nochmals in einem ganz besonderen Maß heraus. Auf der anderen Seite werden durch ihre Bewältigung aber auch Veränderungsprozesse angestoßen, die vielseitige Möglichkeiten für eine nachhaltige Stadtentwicklung bieten.

In der Krise liegt immer auch eine Chance. Das Wohnen und das Arbeiten werden wieder näher zusammenrücken, unser Mobilitätsverhalten steht aktuell auf dem Prüfstand und die Nachfrage nach regionalen Produkten ist enorm. Auch die Digitalisierung der Verwaltungen erfährt einen Schub; vermutlich sieht die Mehrheit von uns Vorteile, wenn der Reisepass online verlängert und der Bebauungsplan im Internet eingesehen werden kann.

Ungewollt ist die Corona-Krise somit zu einer Art Reallabor für die Stadt der Zukunft geworden. Jetzt gilt es, die richtigen Schlüsse für die Stadt nach Corona zu ziehen.“

Tanja Jentz:
„Fangen wir mal beim Thema Wohnen an: Der Wohnungsmarkt in vielen Großstädten Deutschlands ist äußerst angespannt. Wird Corona hieran etwas ändern?“

„Das Wohnen gehört als elementares Grundbedürfnis eindeutig zu den zentralen städtischen Funktionen. Die Krise hat gezeigt, dass das überwiegend kritisch beurteilte Einfamilienhaus in der Peripherie oder auf dem Land ein verhältnismäßig angenehmer Ort für den Lockdown war. Ob damit allerdings gleich eine Trendumkehr in Richtung Wohnen auf dem Land abgeleitet werden kann, ist noch offen.

Meines Erachtens führt auch in Zukunft allein aus ökologischen und ökonomischen Gründen kein Weg vorbei an der verdichteten Stadt– wenn man sie denn konsequent weiterplant. Für Stadtplaner bedeutet dies, bei der Planung neuer Quartiere, aber auch in Bestandsgebieten, den in der Vergangenheit oft vernachlässigten öffentlichen Raum wieder attraktiver zu machen. Mehr Freiflächen, auf denen städtische Landwirtschaft betrieben wird, auch das kann eine Lösung nach dem Vorbild der Urban-Gardening-Bewegung sein.

Aus Sicht der Architekten bedeutet dies, Wohnungen so zu bauen, dass verschiedene Wohnformen in einem Haus existieren. Also eine gute Mischung aus kleinen und großen Wohnungen. Pro Mehrfamilienhaus könnte es zusätzlich eine Gästewohnung geben, des Weiteren sollten sich Arbeits- oder Gemeinschaftsräume im Haus befinden, die man sich nicht nur in Krisenzeiten teilen kann.

Insgesamt wird sich, so ist meine Vermutung, am erhöhten Wohnbedarf vielerorts wenig ändern. Weil es zu Hause zumeist noch an flexiblen Grundrissen mangelt, die Wohnen und Arbeiten im Homeoffice ermöglichen und ausreichend Rückzugsmöglichkeiten schaffen, könnte der Bedarf sogar noch steigen.“

Kerstin Lepere:
„Sie haben es bereits angesprochen, auch das Arbeitsleben verändert sich durch Corona. Welche Folgen sehen Sie hier?“

„Es ist davon auszugehen, dass sich Corona auf die Arbeitswelt am nachhaltigsten auswirken wird. Das Homeoffice wird zu einem festen und stetig wachsenden Bestandteil der Arbeitswelt werden, dessen bin ich mir sicher. Mit der Folge: In der Stadt werden überdimensionierte Bürobauten und noch ganz andere Flächen frei. Die Rolle des zentralen Büros könnte das Arbeitszimmer in der (größeren) Wohnung, aber auch dezentrale Büros in Wohnungsnähe übernehmen. Im eigenen Viertel oder Ortsteil, zwischen Lebensmittelmärkten, Friseuren, Imbissen und Cafés, könnten Menschen in ‚Co-Working Spaces‘ arbeiten und so das Pendeln zum Arbeitsplatz vermeiden.

Für die bislang offenen Büroflächen werden sich bauliche Veränderungen nicht vermeiden lassen. Mittelfristig wird es erforderlich sein, wegfallende Büros in den Innenstädten umzuwandeln. Nachgefragte Nutzungen sind nicht erst seit Corona zentral gelegene Wohnungen, doch verhindern vielerorts die (noch) sehr hohen Preise für Eigentumswohnungen bzw. das hohe Mietniveau ein bezahlbares Leben in der Stadt.

Wenn es gelingt, das Wohnen wieder mehr in die Stadtzentren zu bringen, dann müssten nach Büro- und Geschäftsschluss auch nicht die Bürgersteige „nach oben geklappt“ werden.“

Tanja Jentz:
„Zum Stichwort Geschäftsschluss. Auch für den Handel sind die Auswirkungen von Corona enorm, viele Läden mussten bereits schließen oder befinden sich in der Krise. Was ist zu tun?“

„Eine der größten Bedrohungen für die Innenstädte ist sicherlich das erst schleichende, dann durch die Pandemie extrem beschleunigte, Verschwinden der klassischen Funktion Einkaufen zumindest in der Stadt. Der Konkurrent für den stationären Einzelhandel steht auch bereits fest: Der Onlinehandel ist der große Profiteur der aktuellen Krise.

Damit die Stadt- und Ortskerne nicht veröden wird es unter anderem darum gehen, nunmehr verkleinerte Kernzonen auszuweisen, in denen der Handel Vorrang gegenüber anderen Nutzungen hat. Außerhalb dieser Bereiche gilt es, leer stehende Gebäude einer neuen Nutzung zuzuführen, entweder durch Umwandlung oder durch Abriss und Neubau. In wachsenden Städten wird es auch hier vor allem die Wohnnutzung sein, die die vorige Einzelhandelsnutzung ablöst.

In vielen Fällen sind zur Abschwächung der Krise aber auch schnelle, kreative Lösungen gefragt: In Berlin, Boston, Paris und andernorts wurden relativ unkompliziert ‚Pop-Up-Straßenlokale‘ genehmigt – Gastronomen dürfen angrenzende Parkplätze als erweiterte Außenterrassen nutzen.

Damit es zu keinem endgültigen Niedergang des Versorgungsstandortes Innenstadt kommt, wird es darauf ankommen, den Strukturwandel aktiv zu gestalten. Die betroffenen Eigentümer müssen gemeinsam in dieselbe Richtung handeln, hierzu wird es vor allem neuer Kooperationsformen bedürfen. Klar ist aber auch, dass die jeweiligen Stadtverwaltungen bei der anstehenden Erneuerung eine führende Rolle spielen müssen.“

Kerstin Lepere:
„Um noch einen vierten Bereich anzusprechen: den Verkehr. Ist das Fahrrad oder doch das Auto der Gewinner der Krise?“

„Zunächst einmal haben die Ausbreitung des Coronavirus und die daraus folgenden Ausgangsbeschränkungen zu einer erzwungenen, bisher noch nie dagewesenen, Atempause für den Verkehr geführt.

Ihre Frage ist für das Verkehrsmittel Fahrrad eindeutig mit ja zu beantworten. In Bezug auf die Nutzung des Autos wird erst die Zukunft zeigen, ob wir wieder in alte Mobilitätsmuster zurückfallen, oder ob durch Homeoffice, E-Learning, weniger Geschäftsreisen und virtuelle Veranstaltungen die Autofahrten tatsächlich merklich zurückgehen.

In jedem Fall dient auch hier die Pandemie als Beschleuniger für neue städtische Verkehrskonzepte. In der Krise zeigte sich deutlich, dass die städtischen Verkehrsflächen nicht entsprechend der Nachfrage aufgeteilt sind. Das hat zum Umdenken, in vielen Fällen auch zu kurzfristigen Lösungen, geführt: Städte wie Berlin oder Paris investieren auf einmal Millionen Euro in eine neue (Pop-up)-Radinfrastruktur, um die gesamte Stadt zu vernetzen und auf einen gestärkten Radverkehr nach der Krise vorzubereiten.

Neben den sich neu formierenden Verkehrsströmen sind es die Digitalisierung und smarten Technologien, die zu einer effizienteren Steuerung des Verkehrs führen können. Auch hier gehe ich davon aus, dass sich die Entwicklung in Richtung digital vernetzter Verkehrsangebote weiter beschleunigen wird.“

Kerstin Lepere:
„Wie wird die Stadt der Zukunft also aussehen? Wie pandemiegerecht muss diese sein?“

„In allen Daseinsgrundfunktionen für die Stadtgesellschaft, also Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Mobilität, stehen uns tiefgreifende Veränderungen bevor – aus Sicht der Stadtplanung ist diese Situation allerdings nicht neu, man denke nur an die Situation unsere Städte nach dem 2. Weltkrieg oder die vernachlässigten Innenstädte zu DDR-Zeiten.

Stadtentwicklung und Raumplanung müssen folglich auch in dieser Krise nicht neu erfunden werden, gefordert ist aber wieder einmal ein Umdenken. Die Stadt der Zukunft wird digitaler  und hoffentlich auch nachhaltiger sein als bisher, sie muss zudem widerstandsfähiger mit Blick auf künftige Pandemien werden.

Aus Sicht der urbanen Entscheidungsträger wird unumgänglich sein, die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit einer Stadt oder einer Infrastruktur, künftig im Hinblick auf solche Ereignisse zu überprüfen. Anpassungskonzepte bezogen sich bislang im Wesentlichen auf Naturkatastrophen wie Hochwasser- und Hitzeereignisse, nicht aber auf Epidemien und im schlimmsten Fall Pandemien. Dies gilt für die Schaffung oder Sanierung von Wohn- bzw. Büroraum gleichermaßen wie für die Umgestaltung von Straßen, Wegen, Plätzen und öffentlichen Grün- und Freiflächen.

Insgesamt wird es darauf ankommen, experimentierfreudig mit den auch angedeuteten Verlusten umzugehen, die Krise also als Chance für zukünftige Stadt- und Verkehrsplanungen zu sehen. Entscheidend für die Gestaltung der Post-Corona-Stadt sind dabei wieder einmal die beteiligten Akteure. Kommunale Entscheidungskraft ist wichtig, aber auch zivilgesellschaftliches Engagement auf der Suche nach einer kleinteiligen Lösung im jeweiligen Quartier.“

Tanja Jentz:
„Herr Friesecke, eine letzte Frage zum Abschluss: Wie ist es der STEG als Arbeitsgeber gelungen, sich auf die veränderte Situation einzustellen?“

„Mein Dank gilt zunächst unserer internen IT-Abteilung, die es bereits kurz vor Corona ermöglicht hat, dass die Meisten von uns mit Laptops inkl. Anbindung an unsere Server und einem Videokonferenztool von zu Hause aus arbeiten können. Keiner hätte natürlich gedacht, dass wir das alles so schnell wirklich umfangreich nutzen werden.

Ansonsten wurden bei uns die Kernarbeitszeiten aufgehoben, auch war das Arbeiten im Homeoffice an allen Tagen möglich – bislang beschränkte sich diese Regelung auf einen Tag in der Woche. Schwierig war und ist die Situation zum Teil noch für Mütter und Väter von (Schul-)Kindern, da musste der Spagat zwischen Betreuung, Homeschooling und Arbeiten gelingen. Gerade denken wir darüber nach, welche neuen Regelungen auch in die Zeit nach Corona übernommen werden können.

Geändert hat sich übrigens auch die Art der Kommunikation mit unseren Kunden: Selbst wenn die persönliche Beratung vor Ort nicht zu ersetzen ist, so kann die Videokonferenz durchaus als sinnvolle Alternative für die ein oder andere Besprechung gesehen werden. Bei der Beteiligung größerer Gruppen war die Skepsis vieler Kommunen wie ich finde zu Recht etwas größer: statt virtueller Bürgerbeteiligung wurden weniger zeitkritische Veranstaltungen in den Herbst verschoben.

Auch für unsere STEG Akademie eröffnen sich neue Chancen der Digitalisierung: aktuell planen wir einen virtuellen Live-Event zum Thema Städtebauförderung gemeinsam mit dem BBSR und BMI. Das spart Zeit und Reisekosten, da die Teilnehmer bislang aus der ganzen Bundesrepublik zu diesen Veranstaltungen anreisen mussten.“

Tanja Jentz und Kerstin Lepere:
„Vielen Dank, Herr Dr. Friesecke, für dieses Interview.“

Das Interview wurde geführt von den Referentinnen des Marketings der STEG:
Kerstin Lepère und Tanja Jentz | 06. Juli 2020

Sie möchten die vorangegangenen Themenbereiche nachlesen:
Einführung | „Stadtentwicklung – Jetzt für die Zukunft lernen
Teil 1 | „Zukunftsmodelle der Stadtentwicklung nach Corona
Teil 2 | „Die Smart City zwischen Innovation und digitaler Kontrolle
Teil 3 | „Digitale Bürgerbeteiligung in Zeiten der Krise
Teil 4 | „Wie pandemiegerecht muss zukünftige Stadtplanung sein?
Teil 5 | „Die Pandemie als Chance für ländliche Räume?

Haben Sie Fragen, Wünsche oder Anregungen:

Ihr Kontakt bei der STEG:
Dr. Frank Friesecke
Geschäftsfeldleiter Stadterneuerung | Autor „Stadtplanung nach Corona“

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